Wilder Kaiser, Fleischbank O-Wand, „Rebitsch-Spiegl“, VI/Ao (VII)

Da der Kaiser doch ziemlich mittig zwischen Salzburg und Innsbruck liegt, treffe ich Kay um 8.00 an der Mautstelle Griesneralm. Das Ziel ist klar, die Rucksäcke rasch sortiert und los geht’s, in Richtung Steinerne Rinne. Die Wolken habe ich in Salzburg gelassen und es dürfte ein schöner Tag werden.
Über den Schnellaufstieg sind wir nach knapp 1 ½ Stunden am Rucksackdepot. Am Weg dorthin beobachten wir 2 Seilschaften in Richtung Pumprisse. Ich muss an unseren Viktor denken, mit dem ich vor ca. 20 Jahren diese gewaltige Tour klettern durfte. Das Wildeste war der direkte Zustieg und der A2-Quergang zum Einstieg der Risse. Alles Weitere habe ich nur als super und gar nicht so schwer in Erinnerung. Allerdings verblassen Erinnerungen und ich bin mir sicher, dass ich die Tour heute nicht mehr packen würde. Nur die Erinnerung an Viktor verblasst nicht. Schade, dass es meinen guten Freund nicht mehr gibt.
Wir starten in die noch schattige Tour. Fingerkalt und über nassen Fels stürzt sich Kay in die erste Länge. Gar nicht so leicht, aber er meistert sie bravurös. Die nächsten beiden Längen reiße ich mir unter den Nagel. An ein freies Klettern ist nicht zu denken. Hakenwürgen ist angesagt. Langsam, mit viel Geschnaufe, arbeite ich mich höher. Irgendwie fühle ich mich heute nicht wirklich locker. Wie gut tut es, nach den Haken wieder gut griffigen Fels zu spüren. Aber irgendwie gehen die beiden SL auch vorbei und Kay setzt zum Quergang an. Trotz vereinzelter Bohrhaken ist Gespür und beherztes Klettern angesagt. Als ich wieder darf, wird der Kletterfluss abrupt gestoppt. Kein Richtungshaken weit und breit. Eine feuchte, vergammelte Rinne mit nicht ganz zuverlässigem Fels im Schatten lässt Zweifel aufkommen. Gerade möchte ich zu schimpfen beginnen, da erblicke ich weit oben einen mutmaßlichen Bohrhaken. Die Stimmung beruhigt sich und mit Zittern erreiche ich den Stand. Das Topo im Panicoführer ist leider nicht sehr zuverlässig. Die Längenangaben sind Fantasiespiele und auch das Hakenverzeichnis ist teilweise falsch. Auch die letzte SL vor dem Ausquerband ist falsch bewertet. Mit III hat das gar nichts zu tun. IV-V steht im alten AV-Führer und das passt. Egal, nach gut 4 ½ Stunden erreichen wir den Nordgrat und sind 20 Minuten später am Gipfel. Tolle Gipfelstimmung mit Quellwolken. Lange halten wir uns nicht auf, denn am Christaturmgipfel sitzen 5 Leute und die wollen wir nicht beim Abseilen vor uns haben. Dementsprechend schnell sind wir dann auch wieder am Wandfuß, allerdings erwischt mich noch ein kleiner Steingruß von oben am Schienbein. Nichts passiert, aber am Kopf wäre das schon blöder.
Beim Abstieg beobachten wir dann noch eine der beiden Seilschaften in der vorletzten, der beiden letzten schwierigen Seillängen. Es ist schon viertel nach 5 und die kommen nicht weiter. Wenn die nun schon 8 Stunden in der Wand hängen und noch immer nicht weiter kommen, wird die Tageszeit wohl zu kurz werden. Als wir fast das Ende der Steinernen Rinne erreichen, hängt der Vorsteiger noch immer an derselben Stelle. Ein ungutes Gefühl kommt auf und wir informieren die Bergrettung.
Sehr freundliche Gespräche und sie nehmen sich der Sache an. Zum Glück wurden wir verständigt, dass die Seilschaft nach 1 ½ Stunden ausgestiegen ist. Somit können wir die Tour beruhigt abschließen.

Walter​​​​​​​​​

Tourendatum: 14.9.2019