Kleinglockner, 3770 m, oder „Stau im alpinen Reiseverkehr“

Martina liegt mir schon länger in den Ohren, sie würde gerne einmal auf den Glockner. Bisher habe ich mich immer erfolgreich geweigert, unseren „Höchsten“ als „Normalbergsteiger“ zu bezwingen (ich hasse Menschenmengen am Berg), aber letztendlich kann man als Vater die Wünsche der Tochter nicht abwehren und so geht es am Samstag, zusammen mit ihrer Freundin Lisa, vom Glocknerhaus zur Salmhütte. Bei bestem Wetter gehen wir gemütlich in 2 ½ Stunden zur Hütte, welche nicht ganz voll belegt ist. Beim Einchecken wird uns gleich nahegelegt, dass es Frühstück um 5.30 gibt, denn um 8.00 wird am Sonnstag die Hütte zugesperrt. Das kommt uns recht, denn wir wollten sowieso um 6.30 aufbrechen.

Beim ersten zarten Orangestreifen am Horizont starten wir über den Pfad zum Gletscherrest, dann über gewaltigen Schutt zum Klettersteig auf die Hohenwartscharte. Von hier ist eine Gletscherflanke zu queren, welche mit 1 cm Schnee sich absolut blank präsentiert. Da meine beiden Begleiterinnen das erste Mal auf Steigeisen stehen, ist ein ungesichertes Queren für mich nicht vorstellbar und so sichern wir mit Eisschrauben am laufenden Seil. Ein entgegen kommender Bergführer meinte zwar, das sei absoluter Blödsinn, was ich da mache. So etwas geht man am kurzen Seil! Ist mir Wurscht, was der Knabe sagt, denn einen Ausrutscher der Mädchen könnte ich nie und nimmer halten. Wir verlieren zwar etwas Zeit, für mich war es aber das Sicherste.( Gerade in Gedanken an den Mannschaftsabsturz am Gabler). Bald schon können wir die Eisen wieder ablegen und über Schutt und einem schmalen Grat streben wir der „Adlersruh“ entgegen. Hier ist es schon relativ belebt. Ein Kommen und Gehen herrscht hier, fast wie in der Salzburger Getreidegasse. Nach kurzer Jause packen wir den Schlussanstieg. Das Leitl ist wieder blank, aber mit einer guten Spur, entlang der ein ordentlicher Bach fließt. Ein Gehen am kurzen Seil kann ich hier verantworten und dann kommen wir an den Felseinstieg. Schon von der Ferne rufen uns zwei junge Bergsteiger entgegen, ob wir bitte warten könnten, denn sie würden gerne endlich einmal runter klettern. Wir bleiben im Blankeis stehen, vor uns eine 4-er Seilschaft, die ganz ordentlich und hektisch versuchen sich im Eis einen Platz zu suchen, davor noch eine wartende Seilschaft, hinter uns 2 weitere Seilschaften und von oben drängen etliche Bergführer mit ihren Gästen herunter. Endlich kommen die 2, nun klettert aber die vordere Seilschaft los und es kommt zur Diskussion. Die 4 scharren weiter im Blankeis und ich werde nervös. Schnell 2 Eisschrauben gesetzt, denn wenn uns einer ins Seil entgegenrutscht, dann geht die Post ab. Irgendwie geht es dann nach Entwirrungen, Diskussionen und blöden Bergführerkommentaren nach einer ¾ Stunde doch endlich weiter. Bei der ersten Möglichkeit lassen wir unsere Steigeisen liegen und versuchen so schnell wie möglich höher zu kommen. Aber immer wieder gibt es Wartezeiten durch absteigende Seilschaften. Besonders die Bergführer machen sich beliebt, denn gnadenlos treiben sie ihre Kunden durch die Reihen der Wartenden. Nach gefühlter Unendlichkeit stehen wir dann um halb eins am Kleinglockner und hier überkommt mich das Grauen. Wie die Hunnen ergießen sich Absteiger über den Schlussanstieg. Tschechen blockieren die Scharte, wir stehen hier mit 3 weiteren wartenden Seilschaften und hinter uns drängt die Masse. So Leid es mir für meine beiden Mädchen tut, aber ein Weiterklettern ist völlig sinnlos. Zu weit ist noch unser Abstiegsweg und wenn das Leitl in den Schatten kommt, dann wird der Abstieg wirklich schwer. Nach ein paar Fotos drehen wir um und die Seilschaft vor uns folgt ebenso. Ich sicher alles, auch wenn uns immer wieder Einzelgänger und Bergführer mit 1-4 Gästen abdrängen und überholen. Noch immer kommen zahlreiche Aufsteiger. Am letzten Absatz seile ich Martina und Lisa ab, allerdings müssen wir erneut 7 Aufsteiger vorbeilassen. Ein wenig wackelig stehen sie nun im Blankeis, bedrängt von 2 Bergführern mit Gästen. Die drängen vorbei. Ich komme dazu und setze wieder eine Schraube. Damit kommen sie aus dem Absturzbereich. 30 Meter hinter mir fliegt ein großer Felsblock in die Tiefe und wenige Minuten später ein Eispickel. Was bin ich froh, als wir den Gefahrenbereich verlassen können. Bald sind wir wieder an der „Adlersruh“ und nach einer kurzen Pause am Weg zur Salm-Hütte. Die Gletscherflanke wird wieder gesichert und so schnell es geht streben wir über den Klettersteig hinunter zur Hütte. Die hat bereits den Winterschlaf begonnen. Wir packen unser restliches Gepäck aus dem Winterraum und im zügigen Schritt geht es über die Stockerscharte zurück zum Glocknerhaus. Hier schießt uns plötzlich der Gedanke, dass die Hochalpenstraße ja um 19.30 schließt! Was die Knie aushalten laufen wir die 500 Hm zu den Staumauern hinunter und jenseits zum Glocknerhaus wieder hinauf. Um halb sieben starten wir das Fahrzeug und eine gute halbe Stunde später passieren wir die Mautstelle. Da kommt selbst in einer Familienkutsche Rennfeeling auf. Trotz fehlendem Gipfelsieg laden wir Lisa zufrieden bei ihrem Auto ab. Die Mädchen sind zufrieden, weil es für sie die bisherig höchste alpine Tour mit vielen Eindrücken war und ich bin zufrieden, weil ich die beiden in dem Wahnsinn wieder heil ins Tal bringen konnte.

Walter

Tourendatum: 30.9.2018