Paparazzi im Rücken (6+) und The Beautiful Seeress (6+)

Der Wetterbericht hatte für jeden mal wieder etwas dabei: bis in die Täler stark windig, zunehmende Bewölkung, gen Osten trockener und übergreifende Schauer aus Süd und Nord. Dazwischen: das Inntal. Kandidaten gesucht: nicht zu lang, windgeschützte Lage, nicht zu exponiert, kurzer Zustieg und Abstieg und Abseilmöglichkeit für wetterbedingten Rückzug.
Den Föhn im Nacken fällt unsere Wahl auf die Mehrseillängen-Routen nahe der Gramai Alm, und schon rollen Olivia und ich ins Karwendel. Am Parkplatz der Alm staunen wir nicht schlecht: eine steife Brise rauscht bereits durch die Bäume – sehr wahrscheinlich „vorföhniger West“, denn so windig wird’s den ganzen Tag nicht mehr.
Mangels Weges trauen wir uns mutig über Elektrozaun und Stacheldraht, passieren die Kuhweide und stehen nur wenige Minuten später am Einstieg der „Paparazzi im Rücken“ (6+, 5 SL). Doch der herrschende Steinschlag stimmt uns nachdenklich. Irgendwie passt die Frequenz aber auch nicht zu dem wenigen Geröll am Wandfuß und der Wind ist auch schwächer als zuvor. Wir steigen also ein. Unter gelegentlichem Beschuss spulen wir die ersten zwei knapp 50-Meter-Seillängen im durchaus festen Gestein einer Wasserrinne ab.
Als ich Olivia am zweiten Stand erblicke, bewegt sich noch etwas anderes oberhalb in der Wand. Ein junger Gamsbock säubert da gerade sein Bandl… von wegen der Wind! Etwas beruhigter wohlwissend der ab nun geringeren Steinschlagaktivität geht es in die verbleibenden 3 Seillängen. Unter Beobachtung vom Publikum jenseits der Kuhweide meistern wir die Schlüsselstellen und stehen nach 5 langen Abseilen auch bald wieder am Einstieg.
Das Wetter hebt noch leicht, und so geht es nur kurz ums Eck zum Einstieg der Beautiful Seeress (6+). Olivia nimmt die erste Länge über den schönen, glattgewaschenen Kamin in Angriff. Im Vergleich zur vorherigen Tour stecken die Bohrhaken hier etwas weiter auseinander, bzw. findet sich in den leichteren Metern so gut wie nichts – alpiner Charakter eben. Etwas athletisch geht es in der 4. Seillänge zu, und auch die schweren ersten Meter der 5. Seillänge sind heute kein Problem.
Berg Heil und ab zum Bier… aber die Rechnung ist ohne den Wirt gemacht. Was jetzt folgt fällt in die Kategorie „Alpine Lehrstunde“ . Die Erfrischung schon vor Augen, verklemmt sich der Seilverbindungsknoten gleich beim ersten Abseiler in einem Spalt (@Walter: es gab keinen anderen Abstieg ). Olivia greift voller Tatendrang zu den Prusikschlingen und turnt am gespannten Seil – ich hänge als Beschwerer an dessen Ende – wieder hinauf. Knopf gelöst, Abseilen, Abziehen, Abseilen, Abziehen, Abseilen, Abz… Stopp! Das Seilende hat sich um einen Stein gewickelt. Diesmal bin ich an der Reihe. Noch vor 2 Stunden an selber Stelle mit Doppelseil, muss es ein Strang jetzt auch tun, und so geht’s wieder 20 Meter hinauf. Das gelöste Seil lege ich um ein Felsköpfl und vorsichtig seile ich ab zu Olivia. Ab da läuft wieder Alles optimal – inklusive Wellness auf der Gramai Alm: Weissbier und Zwiebelrostbraten unterm Wärmestrahler.
Kay, 09.09.2017