Safety first – eine Skireise auf den höchsten Berg Aserbaidschans

Als auch die Steigeisen noch einen Platz im Skisack finden, ist es gewiss: Die Klubreise der HG Karwendler kann beginnen. Auf die geglückte Gepäckabgabe am Flughafen noch eine Stärkung im Air-Bräu, und schon starten wir auf direktem Weg von München in das Abenteuer nach Aserbaidschan.
In Baku werden wir auch gleich mit einer von nun an zum abendlichen Ritual gehörenden Teerunde mit tiefschwarzem Azercay empfangen. Unser Verbindungsmann vor Ort, Arzu, stellt uns Babek vor: Als junger Bergführer und Mitglied des aserbaidschanischen Extremsportverbandes FAIREX soll er unsere Skiexpedition führen und auf unsere Sicherheit schauen. Wie sich bald herausstellen wird, spricht Babek jedoch weder Englisch noch besitzt er eine Skitourenausrüstung. Offensichtlich glaubt Arzu nicht, dass wir unsere Idee tatsächlich umsetzen wollen: den höchsten Berg Aserbaidschans, den 4466 Meter hohen Bazardüzü , mit Skiern zu besteigen – wohl als erste überhaupt. Er möchte eigentlich nur dafür sorgen, dass wir sein Land wieder heil verlassen. Nicht nur einmal bekommen wir gesagt: „1st: Safety, 2nd: Safety, 3rd: Safety!“
Mit unserem Disco-Sprinter geht es am nächsten Morgen von Baku entlang der Schwarzmeerküste in Richtung Norden. Durch eine wilde und tiefe Schlucht gelangen wir zu unserer Unterkunft in Xinaliq, dem höchsten und abgelegensten Bergdorf Aserbaidschans. In einem Familienhaus wird ein Zimmer für uns leergeräumt. Wir lernen die muslimischen Sitten kennen und bekommen köstliche Mahlzeiten und stets einen warmen Azercay serviert.
Mit Babek, Stift, Notizblock und Basemap ist die Eingehtour dann auch bald gefunden. Ziel ist der Xinaliq Dagi – immerhin gleich 3717 Meter hoch und damit von Xinaliq aus reichlich 1700 Höhenmeter.
Wir starten mit Skiern auf dem Rücken, queren einen Fluss und finden bald ausreichend Schnee in Rinnen und Mulden, um die Ski anschnallen zu können. Babek steigt rasch zu Fuß auf schneefreien Geländerücken aufwärts. Ab 3000 Meter Höhe folgen wir dem ausgesetzten Grat. Bald lassen auch wir die Ski zurück, da der Weiterweg abgeblasen ist und die steilen Firnflanken aufgrund der hohen Temperaturen bereits durchnässt sind. Ein kräftiger Wind empfängt uns am Gipfel, von wo aus der Blick auf die wilde Bergkulisse mit den Felsbastionen von Gyzil Gyaya und Shahdag schweift. Babek ist mit unserer Form zufrieden und staunt, wie wir unsere Spuren in den Schnee zaubern. Zuletzt eröffnet uns eine große Schlucht mit reichlich Lawinenschnee die Abfahrt bis zum Hangfuß.
Zurück in der Unterkunft und frisch gestärkt planen wir die weiteren Tage. Der Blick auf das Wetter verheißt allerdings nichts Gutes. Uns bleibt noch ein sonniger Tag, dann sollen 3 Tage Schneefall mit bis zu einem Meter Neuschnee folgen. Vor uns liegen weitere 17 Kilometer bis zum eigentlichen Basislager für die Besteigung des Bazardüzü.
Wir entscheiden uns, den schönen Tag für den Transfer in den Nationalpark zu opfern, um den Hauptgipfel bald in Angriff nehmen zu können. Ein kurzer Anruf in Baku, um Freigabe für den Eintritt in den Nationalpark zu erhalten, macht unsere Pläne wieder zunichte. Der Weg über den Pass sei nicht passierbar und eventuell erst am folgenden Tag gerichtet – „Safety first“ lässt grüßen.
Die Sonne am nächsten Morgen tröstet uns schnell und wir starten eine weitere Skitour von Xinaliq aus. Am Weg durch das Bergdorf werden wir interessiert beobachtet und stellen sicher einen kuriosen Anblick dar. Weiter geht’s den Hang hinauf zur nordwestlich vom Dorf gelegenen Kaserne. Hier heißt es vorerst warten, lächeln und Reisepass zeigen. Für heute dürfen wir gewähren, wir sollen den Schießplatz bei unserem Rückweg beachten, und sowieso dürfen wir uns nur noch einen Tag in der Region nahe der Grenze zu Russland aufhalten. Da benötigt es schon unseren Joker in Baku, Arzu, der sich für eine längere Verweildauer einsetzt.
Wie am Vortag legen wir eine Aufstiegsspur durch weiße Flanken und Mulden, während Babek versucht auf schneefreien Geländerücken Schritt zu halten. Auf 3150 Meter Höhe stehen wir am Gipfel und genießen anschließend die Abfahrt durch feinsten Frühjahrsfirn.
Das Essen hebt zusätzlich die Stimmung, die Zeichen für unsere Weiterreise weniger. Geschlossene Straßen, schlechtes Wetter,… wir bleiben hartnäckig und nach einigen Telefonaten mit Arzu können wir ihn von unserem Plan überzeugen. Am nächsten Morgen laden wir den Großteil unseres Gepäcks auf Pferde. Die gesamten 17 Kilometer bis zum Basislager – eine meteorologische Station im Shahdag National Park (Şahdağ Milli Parkı) – können wir dank des Neuschnees komplett mit Ski bewältigen.
Gleich hinter dem Dorf liegt der Eingang zum Nationalpark, wo es noch einige Formalitäten zu erledigen gilt. Nicht ganz so bürokratisch geht es am wenige hundert Meter Tal einwärts befindlichen Grenzposten zu. Hier beeindrucken dafür Sturmgewehre und die zahlreichen mannsgroßen Hunde. Bei fortwährendem Schneefall geht es über einen Pass in ein Hochtal flankiert von den höchsten Bergen des Ostkaukasus. Schon von weitem ist die meteorologische Station zu sehen. Stets in Wolken gehüllt, entziehen sich die Berge aber unseren Blicken.
Auf der Station selber überrascht uns der gebotene Standard im eigenen Bungalow: Hier lässt es sich aushalten! Weniger überraschend ist leider das Wetter am nächsten Morgen: tiefhängende Wolken und weiterer Schneefall machen ein Aufbrechen in die unbekannten Berghänge unmöglich. Aber wir kundschaften zumindest eine Schlüsselstelle des Anstieges zum Bazardüzü aus, wo eine schluchtartige Verengung des Tales beidseitig von bis zu 1000 Meter hohen Wänden gebildet wird. Lawinen enden hier zwangsläufig am gegenüberliegenden Hang und wir taufen diesen Abschnitt entsprechend „Mausefalle“. Unterwegs verraten uns zahlreiche frische Wolfsspuren, dass wir hier nicht ganz allein sind.
Neben dem Wetter macht uns aber auch die aserbaidschanische Bürokratie einen weiteren Strich durch die Rechnung: Ein Hochlager, welches aufgrund des über 18 Kilometer langen Anstiegs bis zum Gipfel des Bazardüzü üblich ist, wird uns untersagt. Schnell freunden wir uns mit der Idee eines Gipfeltags ohne Hochlager, dafür aber mit wenig Gepäck sowie stets warmer Unterkunft, an. Die Vorhersage empfiehlt für das perfekte Gipfelwetter noch einen weiteren Tag an der Station abzuwarten. Wir vertreiben uns die Zeit damit, Babek in Verschüttetensuche zu unterrichten. Dann lacht uns der Hüttenhang an. Steil geht die Spur gegen die Felswand und weiter durch eine Rinne etwa 300 Meter empor bis die Wolkengrenze erreicht ist. Wir genießen die Abfahrt im frischen Pulverschnee – manche von uns auch zweimal. Anschließend darf auch Babek ran. Zwar nicht so steil, aber er hat sichtlich Spaß.
Voller Vorfreude bereiten wir uns für den Gipfeltag vor, an dem es gegen 5 Uhr losgehen soll. Und wieder bringt „Safety first“ unseren Plan fast zum Scheitern: Baku meldet, dass von Nationalpark und Militär alle Gipfel wegen Lawinengefahr gesperrt seien, obwohl wir die Situation anders einstufen. Stunden der Beratung und ein paar Telefonate später lösen wir die Lage mit einer schriftlichen Erklärung, sämtlichen Warnungen anerkennend die Tour nach bestem Gewissen durchzuführen und alle Konsequenzen auf uns zu nehmen. Kaum von allen unterschrieben, gibt es auch eine Variante auf aserbaidschanisch – was wir da signierten, das weiß bis heute keiner.
Pünktlich nach der Tiefschlafphase klingelt der Wecker und wir ziehen in die kalte, kaukasische Nacht. Im Morgenrot durchqueren wir rasch und mit reichlich Abstand die Mausefalle und verweilen erst am auf 3100 Meter befindlichen Frühstücksplatzl zur kurzen Rast. Von hier aus geht es über weit ausgedehnte Flanken und Rücken auf den Bazardüzü. Bei Sonne und wenig Wind stehen wir nach 18,5 Kilometern, 2000 Höhenmetern und 7 Stunden am Gipfel und danken insgeheim Babek und Arzu für Ihre Kompromissbereitschaft. Der Blick auf die umliegenden, weiß glänzenden Skiberge und das dahinter liegende Wolkenmeer ist grandios.
Der fehlenden Ortskenntnis und dem vielen Neuschnee Respekt zollend halten wir uns bei der Abfahrt nahe der Aufstiegsspur und genießen das großartige Skigelände. Im Hochtal angelangt heißt es noch 1,5 Stunden wandern, bis wir glücklich an der Station einmal mehr mit warmem Azercay empfangen werden. Der erfolgreiche Tag klingt aus mit einer großen Zusammenkunft in der meteorologischen Station, wo uns der Chef zum Eintrag der wohl ersten Skibesteigung des Bazardüzü in das Gästebuch bittet.
Der nächste, sonnige Morgen offenbart nochmals die zahlreichen Möglichkeiten für Skitouren an den umliegenden Bergen. Für uns geht es aber leider schon auf den Rückweg. Noch am Abend desselben Tages erreichen wir wieder Baku. Auch Arzu möchte uns nochmal persönlich gratulieren und lädt uns in sein neues Haus ein. Neue wie alte Paläste, Öl-und Gasindustrie und deren Schattenseiten bewundern wir an einem weiteren Tag in und um Baku.
Nach Hause begleiten uns Erinnerungen an eine sonnige Skiabfahrt vom höchsten Berg im Ostkaukasus, an eine grandiose Landschaft mit zahlreichen rassigen Skigipfeln, Erinnerungen an ein kontrastreiches Land zwischen Ölmetropole und abgeschiedenen Bergdörfern mit hilfsbereiten und herzlichen Gastgebern und an eine Reise nach dem Motto: „Safety first“.
Informationen:
Reiseteilnehmer: Carmen Satori (Kiens, Südtriol), Monika Deisenberger (Saalfelden, Salzburg), Andreas Aschaber (Kirchberg in Tirol), Gerhard Ehrenmüller (Innsbruck, Tirol), Robert Wiesner (Innsbruck, Tirol) und Kay Helfricht (Innbruck, Tirol)
Wir danken für die Unterstützung der Reise seitens SALOMON, LEKI und den unheimlich leckeren Gonat’s
Die Bergfahrt wurde im Rahmen des Klubausfluges der HG Karwendler organisiert und fand vom 25. März bis 4. April 2016 statt.