Verdon – Pastis oder Pastistomat ist Pflicht!

So wie de Fernet in Italien, der Whisky in England oder Schottland, der Martini geschüttelt nicht gerührt bei James Bond, so ist der  Pastis in Frankreich das Leib oder Apperitivgetränk schlecht hin. Wer dieses Getränk mag, wird es immer wieder trinken und genießen. Um Klettern zu können und dieses Getränkserviert zu bekommen, soll einfach nach Frankreich fahren. Dies ist der Grund warum ich immer wieder im Frühsommer, oftmals auch noch im Herbst in die Provence komme.

Das wirkliche Zauberwort aber heißt „Verdon“! Wer gern Kalkfels klettert, wird wohl kaum in Europa ein Gebiet finden, welches mit dem Verdon zu vergleichen ist. Viele Menschen wissen, dass es den Grand Canyon du Verdon gibt, wer aber kann genau sagen wo er sich in der Haute Provence versteckt? Mit seinen senkrechten Felswänden, welche bis tief in die Schlucht hinunter führen, ist er für mich ein Schmuckstück der Natur und hier zu klettern bedeutet nicht, lange Anmärsche zu den Einstiegen, nein im Gegenteil, die meisten Touren erreicht man von oben durch abseilen. Ein eigenes Gefühl überkommt mich jedes mal auf’s Neue, wenn ich am Schluchtrand, genauer genommen an der Kante zwischen horizontalem und vertikaem Fels stehe, den Abseilhaken eingehängt habe und die Wände hinunterseile. Ob Schlingenstand oder Beginn einer Kletterroute aus einem „Jardin“, das sind Felsterrassen, welche mit Bäumen, Gestrüpp und oder Blumen bewachsen sind, der Weg aus der Wand führt nur über hinaufklettern. Dies bedeutet, dass man die Schwierigkeitsgrade, welche im Führer angegeben sind, mindestens von Haken zu Haken klettern können muss. Stürze aber sind großteils ungefährlich, denn die meisten Routen sind im senkrechten bis überhängendem Fels eingebohrt. Aber auch das Abseilen und die richtige Route finden, es zieht eine Tour neben der anderen hoch, ist oft nicht ganz einfach. Der Grand Canyon du Verdon liegt am östlichen Rand der Provence, das heißt die Anreise führt durch Italien nach Frankreich. Auch dies Fahrt wird als Sport betrachtet und so fahren wir nicht über die Autobahn sondern die gesamte Strecke auf der Bundesstrasse, das heißt wir sind sechs Personen in zwei Autos. Ungefähr 1000 Kilometer an einem Tag, mit all den vielen und schönen bzw. oder nervigen Ortsdurchfahrt ten. Am Col du Larche erreichen wir die Grenze nach Frankreich dies ist ein Pass mit 1992m.ü. Meereshöhe. Weiter geht’s über den Cold Allos mit 2240m und do erreichen wir, praktisch nur mit Boxenstopp beim Tanken, müde und abgespannt den kleinen provencialischen Ort La Palud, welcher auf ca. 930 Meter Meereshöhe liegt. Unsere Beifahrer sind froh, dass sie noch heil am Leben sind, denn so manche Überholmanöver, ob in den Tunnels am Gardasee oder auf den Passstrassen, waren wohl zu viel Nervenbelastung. Der erste Weg in La Palud führt uns ins Sportgeschäft, um den neuesten Kletterführer zu er-stehen. Aber schon der zweite Weg bringt uns in die Bar am Dorfplatz „Bon jour cinq Pastis et un Pastistomat s’il vous plait“ und das heiß begehrte und schwer verdiente Getränk steht vor uns. Überglücklich wieder hier zu sein, bleibt es nicht aus, dass aus einem ein zweiter und dritter Pastis werden. Wir suchen unser alt vertrautes Platzl, ein Stück vom Ort entfernt, welcher inmitten von blühendem Ginster und gut duftenden Kräutern liegt, auf. Sofort wird gejausnet und noch einiger Wein getrunken. Auch wird im neuen Führer gelesen und eine Route für den nächsten Tag herausgesucht. Hannes und ich entscheiden uns schon in den Morgenstunden in die Schlucht zu seilen um zu klettern, während der Rest unserer Gruppe erst am Nachmittag angreifen möchte. Dies war eine gute Entscheidung, denn der Alkohol hatte am nächsten Morgen seine Wirkung noch nicht verloren. Nachdem wir den richtigen Abseilhaken gefunden haben, geht’s hinunter in die Schlucht. Da wir beim Abseilen ein wenig unaufmerksam sind und schon mehrere Seillängen herunter-gefahren sind wissen wir nicht genau, ob wir schon den tiefsten Punkt unserer Route erreicht haben oder nicht. Um völlig sicher zu gehen, seile ich mich über eine Platte tiefer ab, es kommt eine längere senkrechte Passage und dann wird’s überhängend. Im Nu bin ich einige Meter von der Felswand entfernt. Jetzt ist’s klar, der Stand ober mir ist der Beginn der ersten Seillänge. Nun heißt es handeln, denn die Seile unter mir hängen mit den Enden frei in der Luft. Nach längerem Aufprusiken erreiche ich meinen Partner, der am Stand auf mich wartet. Wir bereiten uns aufs Klettern vor, seilen uns an und nach kurzem „Berg Heil“ steige ich in die Route ein. Traum Fels, scharfe Kanten und Griffe lassen mich rasch höher steigen. Auch die Sonne scheint mittlerweile in die Wand herein. Der weiße Fels leuchtet und wenn man so nach oben schaut, glaubt man, dass die Tour ins Unendliche führt. Kleine Griffe und Finger-löcher in der  fast überhängenden Wand begleiten mich an den ersten Stand. Hannes steigt nach, er ist gleichermaßen vom Tanz in der Vertikale beeindruckt und begeistert. Während er die zweite Seillänge klettert, welche sowohl im gleichen Schwierigkeitsgrad (6b) liegt, als auch von der Schönheit und Ausgesetztheit eher noch phantastischer ist, genieße ich die Ruhe der Natur, den Blick in die Schlucht in der, der Fluss sein Schauspiel liefert. Meine Gedanken gehen an den Ursprung der Entstehung und welche Gewalten am Werk sein müssen um so einen tiefen Einschnitt mit so makellosen senkrechten Felswänden zu schaffen. Plötzlich höre ich Hannes rufen „Stand“. Ich bin wieder zurück aus meinen Träumen und an der Reihe zum Klettern. Jeder einzelne Kletterzug ist ein Wahnsinn und purer Genuss. Wir durchklettern die Tour und kommen gut nach oben. Offensichtlich hat sich das Klettertraining den ganzen Winter hindurch gelohnt. Am Schluchtrand sitzen wir noch überglücklich und schwelgen schon in Gedanken an Morgen und unsere nächste Tour, welche wir uns aber erst noch aussuchen müssen. Der Weg zu unserem Lagerplatz führt natürlich wieder über die Bar am Hauptplatz von La Palud und zu einem Pastis. So verbringen wir eine ganze Woche hier im Herzen der Haut Provence im Kletterparadies schlechthin. Genauso wie die Anfahrt, fahren wir auch wieder nach Hause, auch wieder recht sportlich. Nur wieder bestärkt, dass wir Alle nicht das letzte Mal hier waren, nein unser Motto lautet „Ein guter Klettersommer beginnt im Verdon“.

Wolfi Egger