Pik Kommunismus, Pamir 1976

Der Pik Kommunismus ist nach den Geografen der höchste Punkt der Sowjetunion und der vierthöchste Berg im Pamir. Nach den neuesten Berechnungen der Vermesser ist er 7.488 m hoch. Als wir uns zu einer Fahrt dorthin entschlossen, war er bei uns ziemlich unbekannt. Von der österreichisch-sowjetischen Gesellschaft erhielten wir lediglich einige Skizzen und eine Ersteigungsgeschichte.
Rolf, Senta, meine Frau und ich trafen uns in Schwechat mit einer 17 Mann starken Gruppe des Österreichischen Alpenklubs mit Leo Graf als Leiter. Die Anreise über Moskau und Osch war gut organisiert und problemlos. Nur das letzte Stück ins Leninlager im Lkw auf schlechter Straße war sehr holprig und staubig. Aber nach der Warmwasserbrause dort fühlten sich alle wieder wohl.
Die nächsten Tage verbrachten wir mit Wanderungen, einer Besteigung des Pik Petrowski, dem Ausfassen des Proviants und der ärztlichen Untersuchung. Unsere Frauen sind besser akklimatisiert als alle Männer. Rolf beweist diese Feststellung der Mediziner und legt sich mit leichter Lungenentzündung in ein Bett der Arztbaracke.
Wir werden inzwischen in das Fortambeklager geflogen. Eine Stunde dauert der eindrucksvolle Hubschrauberflug, die Berge werden steiler und interessanter. Auch hier haben die Russen auf einer kleinen Wiese bereits Zelte aufgebaut, das Lagerleben ist jetzt aber viel gemütlicher als im Leninlager.
Der Aufstieg beginnt mit einer fast 2000 m hohen Flanke aus Schutt, Schnee und Eis mit einigen Kletterstellen. Zur Sicherung sind stellenweise fixe, aber alte Seile angebracht, vor allem für Wissenschaftler, die am Plateau in über 6.000 m arbeiten. Die ersten Anstiege zu Lager I und Lager II sind anstrengende Gepäckstransporte. Wir sind nicht sehr zuversichtlich, den Gipfel zu erreichen. Auch Marcus Schmuck ist mit einer Bergsteigergruppe hier, wir sind aber aus mehreren Gründen froh, nichts mit ihm zu unternehmen.
Rolf und Senta sind inzwischen auch gekommen, gemeinsam gehen wir zu Lager II und erreichen über das etwa 12 km lange Plateau das dritte Lager. Hier befindet sich auch unsere vom Hubschrauber abgeworfene Tonne mit Konserven. Hier und am Weiterweg zu Lager IV treffen wir mit der Gruppe des ÖAK zusammen, 10 Teilnehmer haben den Gipfel erreicht. Die Nacht im Lager IV in ca. 6.700 m ist schlimm, starker Sturm und Schnee im Zelt lassen uns nicht schlafen. Der nächste Tag bringt Rolf und Senta den Gipfel, wir müssen aber schon nach einer Stunde umdrehen, da ich die Zehen trotz dauernder Bewegung nicht mehr spüre, auch Renate ist nicht in bester Verfassung. Wir entschließen uns, ganz ins Basislager abzusteigen und einen neuen Versuch zu starten.
Nach zwei notwendigen Rasttagen legen wir mit leichtem Gepäck am Nachmittag die Strecke bis zu Lager II zurück. Schlechtes Wetter am nächsten Tag – wir bleiben im Zelt. Gegen Abend hört der Schneefall auf, wir wissen, dass wir das Plateau allein spuren müssen. Müde erreichen wir nach 8 Stunden unser am Lager III stehen gelassenes Zelt. Von den Fruchtsäften ist aber alles weg – „vielleicht“ – haben es tschechische Bergsteiger ausgetrunken. Wir haben Funkverbindung mit Rolf, der sich mit den anderen Kameraden am Pik Korschenewskaja befindet und diesen mit nur einem Zwischenlager erreicht.
Von unsere Lager III bis zum Lager V auf 6.950 m ist wieder alles zu spuren, aber wir sind jetzt gut an die Höhe gewöhnt und spüren, dass wir es schaffen werden. Hier am höchsten Lager treffen wir auf ungefähr 10 andere Gipfelanwärter, Japaner, Russen und Polen. Sie waren eine Woche vor uns aufgebrochen, aber durch das schlechte Wetter und durch mangelnde Höhenanpassung noch nicht weiter.
Gegen 9 Uhr verlassen wir am 8. August unser Zelt und erreichen über die Nordwestflanke den Gipfelgrat. Ein Schluck Kaffee aus der Thermosflasche – wir wollen nicht rasten und gehen über den Grat gleich zum Gipfel. Es ist Mittag, es ist warm und windstill, es ist einfach unbeschreiblich. Alle Zweifel und Mühen sind vergessen, alle Fragen über den Zweck des Bergsteigens sind für uns beantwortet. Im weiten Panorama erkennen wir den Pik Lenin und Teile des Fedschenkogletschers und tief unten die Wiese des Basislagers. Nach einer Stunde machen wir uns auf den Rückweg. Bis zum Lager V ist Konzentration notwendig, wir bauen das Zelt gleich ab, bekommen von den nicht am Gipfelgang beteiligten Japanern einen Schluck heiße Milch und erreichen am Abend wieder das Plateau und die bisher weniger geliebten Konserven. Lange wird gekocht, gegessen und getrunken.
Das Plateau schaffen wir diesmal in 3 Stunden, manchmal in einer Schispur gehend. Unser schweres Zelt von Lager I will auch noch mitgenommen werden, vorsichtig benützen wir zum letzten Mal die Seilversicherungen. Im Schotter ist jetzt schon ein Steig ausgetreten und endlich sind wir im Lager. Das Abendessen auf den Holzbänken, das frische Obst – ein Bad und die notwendigen Waschungen im warmen See – alles vertraut und doch wider neu erlebt. Da aber nirgends mehr Papier aufzutreiben ist, sind wir froh, wieder ins Leninlager zu kommen und unsere Erlebnisse auszutauschen.
Karl Mosbacher