Hütteneinweihung am Stripsenjoch 23. Juni 1935

Peter Aschenbrenners Hütteneinweihung wollten wir mit ihm in frohen Stunden erleben. So sollte auch der Plan zu einer motorisierten Ausfahrt des ganzen Klubs einmal Wirklichkeit werden. Eine schöne Kolonne mit fast 25 Leuten war beisammen, doch als es wirklich zur Abfahrt kam, sind es halt weniger geworden. Schade, doppelt schade für die, die nicht mitgefahren sind. Am Samstag war Treffpunkt Holzhammergarage. Pünktlich waren wir da, der Matzi, Hans, die beiden Toni und ich. Der Toni läßt sich noch kurz den Wagen, den er ja noch nie gefahren war, erklären und schon fahren wir durch die Stadt hinaus, dem Kaiser entgegen. Unser Toni hatte die Flausen des Fiat 501 auch bald heraußen und so drückte er mächtig auf den Benzinhebel und flott und lustig fuhren wir das Unterland entlang. Schwaz, Wörgl, Ellmau lagen schon hinter uns, als wir auf einmal unseren Pfiff hörten. Zuerst glaubten wir, es pfeift jemand aus den Stauden heraus, doch dann war es der Pischl Rudl, der mit seinem Chrysler hinter uns her war. Benno mit gezückter Leica, aufrecht im Wagen stehend, knipste uns. Dahinter im Reisekoffer entdecken wir Pipex und den Kasper. Daß die 80 Pferde des Rudl uns vorfahren wollten war ja begreiflich und so ging es St. Johann und Kirchdorf entgegen. In Griesenau knöpfte man uns noch 2,50 Schilling Mautgebühr ab und dann ging es weiter. Von dort weg wurde die Fahrt immer reizvoller. Mitten durch Wiesen schlängelt sich der schmale Almweg, gerade recht zum Langsamfahren und so recht zum Schauen und Freuen. Dieses Stück Erde ist so schön, daß man nicht viel erzählen, aber viel erleben kann. Die sanften Hügel mit ihrem feinen Grün und den schönen Blumen leiten den Blick über Tannenwälder hinauf zu den Nordabstürzen des Wilden Kaisers. Ein Fleck Heimat, das jeder einmal sehen soll. Mit Spannung erwarten wir die Hindernisse eines Almweges und schon geht es los. Der erste Gatter, den unsere Vorfahrer natürlich wieder zugemacht haben, aber dahinter ein vermurter Bach und kein anderer Weg als eben mitten durch. Rudl tritt, bewußt seiner Pferdestärke, auf den Hebel und schon schaukelt der Wagen durch den Bach. Das Wasser kommt bis zu den Achsen heran, wild spritzt es über den Kühler, ein Bild als ob wir im Kaukasus fahren würden. Jetzt wir mit unserem kleinen Fiat. Etwas stutzig sitzt der Hans neben unserem glatzerten Toni. Matzi springt aus dem Wagen, ob aus Angst oder sonst warum weiß keiner, nur will er uns fotografieren. Er knipst und grinst bei unserer Bachdurchquerung, ein kleiner Umweg, und er sitzt wieder im Wagen. Nun geht es weiter, jeder wartet eigentlich – wie wird sich das noch weiter entwickeln. Nicht lange dauert es, so stehen vor uns auch die anderen. Alle sind aus dem Wagen heraußen und jeder lacht uns entgegen. Wieder ein Murgang, Steinblöcke und Holz versperren den Weiterweg. Da beginnt unsere Arbeitsschlacht. Aber 8 Händepaare machen auch für den Rudl seinen Kasten bald den Weg frei. Benno als Bauleiter schafft nur an und knipst uns. Allein die 80 Rösser hätten es nicht geschafft, unser Ho – ruck und unser Antauchen bringt den Wagen sprungartig über die Hindernisse hinweg. Beinahe wären wir in den Bach geflogen und beinahe hätte ein Felsblock dem Rudl nicht nur seinen neuen Lack auf dem alten Wagen, sondern auch noch das Trittbrett abgeschleift. Wie werden wir die Griesneralm erreichen, wenn es so weiter geht. Aber glücklich sind wir dort doch noch gelandet. Wohl kamen noch einige schmale und heikle Stellen, auch die letzte Steigung war genommen und so standen wir inmitten des Almbodens, mitten in einer Kuh- und Schweineherde, die recht saudumm unsere Vehikel beschnupperten. Oben grüßten die Kaiserwände mit ihren bekannten Namen herunter und nur 1 Stunde ober uns lag das Stripsenjoch.
Gestärkt zogen wir das nette Steiglein hinauf, wo uns oben Pauli und Peter empfingen. Für mich, der ich noch nie im Kaiser war, nahm das Schauen und Staunen kein Ende; links Wände, Gipfel, schneidige Grate und rechts das sanft abfallende Alpenvorland, westwärts in der Abendsonne die Gipfel der auslaufenden Karwendelkette, unter uns das schöne Kaisertal, ostwärts die Loferer Steinberge im letzten Glühen der Abendsonne. Ein Platz, wie ich ihn nicht oft in den Bergen gesehen habe. Peter stellte uns seine liebe Gattin vor und zeigte uns die Hütte; fein und sauber hat er es da oben. Aber wir stürmten wieder hinaus, hinauf zum Jochkreuz, und da war so richtig Feierabend. Mag ein Gipfelerlebnis nach einer schönen Bergfahrt erhebend und mächtig sein, ebenso schön war es vielleicht auf der Bank, neben dem Kreuz im letzten Abendschein beisammen zu sitzen und mitzuempfinden, wie jeder sich freute, frei zu sein in unseren Bergen – und sich freut, weil auch der andere so viel Freude miterlebt. Nicht lange hat es gedauert, dann kamen der Kuno und der Karele und die beiden Seiwalds vom Kaisertal herauf.
Endlich wollte der Magen auch etwas haben und wir hockten uns, nach einigem Hin und Her an einem runden Tisch zusammen und begannen, die Erzeugnisse von Peters Küchenchefin durchzukosten. Gut kann sie kochen und teuer ist sie auch nicht. Natürlich hatte der eine oder andere noch manche Erkundungsfahrt in der Hütte vor, aber fast alle endeten in der Küche und jeder gab vor, nur zu schauen, was es zum Abendessen gibt. Langsam dunkelte es und so entwickelte sich ein netter Hüttenabend. Janko war mit einigen Kufsteinern auch schon da und mit dem „Willkommen liebe Freunde“ leiteten wir unseren Abend ein. Erzählungen, Lieder, spitzfindige Pflanzereien und mancher Ulk, nicht zuletzt der gemäßigte Genuß von Wein und Bier ließ die Abendstunden leider nur zu schnell verstreichen. Peters Gattin wurde besonders begrüßt und mit Wein begossen und zu bald war es schon l2 Uhr geworden. Die Benzingase waren merkwürdiger Weise in uns gedrungen und so hatte zum Beispiel der Pischl Rudl zwischen Pipex und mir manch saftige Prise als Kostprobe bekommen. Es scheint ihm dadurch schlecht geworden zu sein, denn bleich wie eine Wand fanden wir ihn im Freien mit verstauchtem Fuß und ausgeleertem Magen. Er gab natürlich nicht zu, was eigentlich los war – aber wir ahnten es. Um halb 1 Uhr kamen die Motorradler daher, die 3 Hansln, Konzert, Hansl der Schmalspurige und Wanitschek, sowie der wenigbelockte Bischofer Hermann. Schon damals hatten wir festgestellt, wie gut das Matratzenlagen ist, und so legten wir uns bald nieder, um wenigstens nicht gar zu kurz dieses Lager genießen zu können.
Am frühen Morgen ging der Betrieb schon los. Der Erzbischofer weckte den Toni: „Du, wir haben verschlafen, steh auf.“ Wie eine Rakete war der Toni aus den Decken heraußen, stand ihm doch eine langersehnte Bergfahrt bevor, die Fleischbank Ostwand. Etwas später krochen auch wir heraus. Am meisten hatte jedoch der Kaspar Mühe, den langhaxerten Benno zu wecken. Der war eine halbe Stunde nach dem Aufstehen auch noch nicht wach. Die Morgensonne stach ihn so fest in seine müden Augen, daß er ganz traumverloren seinen Kaffee schlürfte; ich meine, so richtig aufgewacht ist er erst, als die Kletterei losging. Jeder strebte so nacheinander seinem gesteckten Ziele zu. Matzi, Lenz und Janko wollten dem Peter endlich einmal zu einer anständigen Kletterfahrt verhelfen und schickten sich an, ihn über den Führerweg auf das Totenkirchl hinaufzuziehen. Pipex und Pauli strebten dem Predigtstuhl zu, die beiden Seiwalds und der Konzert Hansl einer der Kaminreihen des Predigtstuhles, Kuno, Karl, Fritz Toni und ich gingen dem Steiglein zum Einstieg in die Ostwand des Totenkirchls nach, nur der Pischl Rudi blieb zurück. Schlafen, schlafen und erholen war seine Lösung.
Ich hatte so ein merkwürdiges Gefühl. Kaiserkletterei war für mich schon lange eine Sehnsucht, aber auch eine Angst. Der Wille war ja da, aber langt mein Können, langt meine Kraft? Mit manchem Gedanken beschäftigt langten wir am Einstieg an. Zwei Kufsteiner waren schon über denselben hinaus. Noch einmal studierten wir unsere Wegbschreibung und dann stieg der Toni über die Randkluft in die Felsen ein. Ganz nett steil und kleingriffig ging es an. Aus einem Riß hinaus nach links, und das wollte mir schon nicht recht gelingen, doch der Kuno brummte hinter mir: „Geh schon einmal weiter“. Ich merkte, daß ich halt doch ganz ohne Übung das erste Mal im heurigen Jahr im Fels war. Es folgte Seillänge um Seillänge. Der Toni schob seine 95 Kilo mit Kraft und Eleganz höher, querte nach links über eine Rippe und wieder hinauf und wieder nach links. Nur hie und da schreckte uns ein Steinschlag von oben. Unserem Ziel, ein schwarzes Loch im oberen Teil der Wand, strebten wir zu. Einmal waren wir wohl eine Seillänge zu hoch gekommen, doch in wunderschöner, luftiger, aber durchwegs fester Kletterei langten wir unter einem Dach beim schwarzen Loch an. Dort hielten wir einmal Rast, Brot und Zucker ersetzten etwas unsere aufgebrauchten Kräfte, und weiter ging es nach rechts in einen schiefen Spalt hinauf zu einem schiefen Kamin. War die Fahrt schon lange luftig, so sollte jetzt die schönste Stelle kommen – und richtig, der Kamin teilt einen großen Überhang, und diesem Kamin entlang schiebt man sich schief nach aufwärts. Ein eingeklemmter Block zwingt den Kletterer hinaus und nun ist man so recht luftig etwa 400 Meter über dem Kar. Nur kurz gleitet der Blick hinab, dann ist auch diese Stelle überwunden. Mit Bewunderung schaue ich dem nachkommenden Kuno zu, wie er so ruhig und sicher eine Seillänge nach der anderen meistert. Oft mag dabei wohl auch Neid gewesen sein, aber es ist halt so. Tschaler liest: Im nördlichen Teil der Schlucht empor, hinauf zur Scharte am Grat. Von oben hören wir schon die anderen, die dem Gipfel zustreben. Nun noch die letzte Seillänge. Langsam, aber gleichmäßig läuft das Seil durch meine Hände. Da muß es wahrscheinlich ganz nett hergehen. Auch der Kuno meint, diese Seillänge dauert eigentlich zu lange. Aber auf einmal hör ich den Toni: „Nachkommen, ich bin auf der Scharte, das war das bärigste Stück.“ Ein netter Riß führt nach aufwärts, fein kleingriffig und steil. Langsam schiebe ich mich hoch, glaube einmal verkehrt im Riß zu stecken, aber es geht doch. Oben höre ich den Toni; „riesige Berge, steile Felsenwand“ singen, und mit den Gedanken, der ist schon draußen, der hat ja leicht singen, ich muß da noch schieben und aufpassen und so komme ich langsam höher und zu ihm hinauf. Die anderen zwei folgen bald nach, und so streben wir dem Gipfel zu, wo uns die anderen schon erwarten.
Es ist wohl schon eine lange Zeit her, daß so viele Karwendler sich zum Gipfelsieg die Hand reichten. Nicht lange dauerte es, und da kommt der Altmeister der Kletterzunft, Nieberl mit Frau, herauf. So sitzen wir am Gipfel, lassen uns die nächsten Berge erklären und freuen uns miteinander und füreinander. Die beiden Hansln können wir von der Westwand nimmer erwarten und so steigen wir nach schöner Rast wieder ab. Hintereinander geht es mit viel Rutscherei die Kaminreihe hinunter zum Führerweg. Bald hatten wir uns verlaufen. Der Much Wildschwendtner wies uns wieder den richtigen Weg. Gerade schnell sind wir nicht in die Tiefe gekommen, doch mit so vielen Leuten dauert es eben länger. Aber lustig war es doch, so manchem zuschauen zu können, wie er die schlutzigen Rinnen abwärts gleitet. Mit Staunen stellen wir nur immer wieder fest, wie unser Matzi diesen Weg gemeistert haben muß, für ihn doch eine nette Leistung. Er hat auch damit selber die größte Freude gehabt. In der Hütte kamen wir so hintereinander wieder zusammen. Alle hatten ihr Vorhaben erreicht, aus jedem leuchtete das stolze Glück, wieder eine richtige Bergfahrt erlebt zu haben. Nur der Hans war mit seiner Tagesarbeit nicht recht zufrieden. Den Westwandeinstieg hatte er wohl gefunden, aber er konnte es nicht glauben, daß er es sei und so suchte er 5 Stunden lang die Wand ab und ist dann schließlich durch die Piaz-Wand emporgeklettert. Er hatte sich schon in den halben Erfolg hineingefunden, nur als der Peter meinte: „dös darfst aber niemand sagen, denn da lacht dich ja jede Kuh aus, daß du den Westwandeinstieg nicht gefunden hast“, da stieg in ihm ein nicht ganz kleiner Groll auf. Durch eine zünftige Knödelsuppe beruhigte Peter aber wieder den Hitzkopf.
Da war es auch schon Zeit geworden, an die Heimfahrt zu denken. Abschied nehmen von dort ist einem eigentlich gar nicht leicht gekommen, denn jeder hätte wohl gerne noch einen Tag dort oben verbracht, doch wir mußten heimwärts. Peter, Paul und seine Frau begleiteten uns vor die Hütte hinaus, der Kuno knipste das junge Ehepaar, das so traulich beieinander stand, ein dreifaches Bergheil, und abwärts ging es, unseren Wagen zu. Noch oft suchte der Blick die Wände ab, oft schauten wir zu den Gipfeln zurück, die uns heute Kampf und Sieg gegeben hatten, und in jedem war so der Wunsch lebendig geworden, daher muß ich wieder kommen.
Die Fahrt durch das Tal hinaus ging glatt vor sich, auch die Bachüberquerung bedeutete für unsere Wagen kein besonderes Hindernis. Oberhalb Griesenau ist ein Staubecken mit ganz sauberem grün leuchtendem Wasser. Die vier mit dem Chrysler blieben noch dort, warfen die verschwitzten Kleider von sich und sprangen splitternackt in das grüne Naß. Wir waren nicht so reinlichkeitsbedürftig und fuhren weiter. Langsam schoben sich die langen Schatten über die weiche Landschaft der Schieferberge um Kitzbühel, bald grüßten uns die Südabstürze des Wilden Kaisers und draußen im Inntal kamen die Berge des Karwendels immer näher. Die Gegend verdient so richtig den Namen: lieblich. Die weiten Täler mit den rundlichen Gipfeln, die grünen, blumenübersäten Wiesen und die netten Unterländer Bauernhöfe sind ein Bild, das jeden freut und Erbauung bringt. In Matzen halten wir noch einmal, ein letzter Imbiß und ein Bierlein bringen den Magen zu seiner Zufriedenheit und dann ging es heimzu.
Diese beiden Tage waren so recht das Erleben, das wir in den Bergen miteinander suchen. Diese stille Zufriedenheit und das schöne einsame Glück ist die Quelle, wo unsere Kameradschaft immer wieder neu gestärkt wird, wo unsere Sehnsucht zu neuen Taten, zum gemeinsamen Erleben lebendig wird. Möge es wieder einmal gelingen, eine solche gemeinsame Fahrt zu unternehmen und dann sollen auch die mittun können, die diesmal nicht dabei waren.