Ecuador – No Condor ha pasado

Zugegeben, es sind nicht die höchsten Berge, auch nicht die steilsten Flanken und schon gar nicht das größte Land. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen stand Ecuador schon seit geraumer Zeit auf meinem Reiseplan.
Da mein momentaner Arbeitgeber weder finanzielle noch zeitliche Flexibilität an den Tag legt, schloss ich mich einem deutschen Reiseveranstalter an, um dieses Abenteuer sozusagen pauschal zu erleben. Ich staunte nicht schlecht, als ich zum ersten Mal die Teilnehmerliste in den Händen hielt. Nicht weniger als 13 (in Worten: DREIZEHN) aus dem nördlichen Nachbarland stammende Individuen sollten mit mir unterwegs sein. Nachdem der erste Schock überstanden und der Notarzt Entwarnung gab, ahnte ich schon Schlimmes…diese Prüfung wird eine Schwere werden…
Für ein eingehendes Kennenlernen blieb nicht viel Zeit, am nächsten Tag stand schon der erste Eingeh-Berg auf dem Plan. Da am Nachmittag meistens mit Regen oder ähnlichen nassen Zuständen zu rechnen ist, hieß das nichts anderes als früh aufstehen. Wie inzwischen jeder weiß, halte ich (fast) jede Aktivität vor 8 Uhr morgens für eine Zumutung, unmenschlich und für nicht tragbar. Aber der Gruppenzwang ließ mir keine Wahl. Nachdem das Buffet abgeräumt, die Alemannen die Flucht ergriffen und ich dem weiblichen Personal mit meinem schlüpfrigen Spanisch die Röte ins Gesicht trieb, fuhren wir zum Ausgangspunkt für den Pasachoa (4.200m).
Wie immer beim Akklimatisieren, trödelte ich langsam hinterher, machte Fotos, markierte den Weg mit glasklarem Mittelstrahl und versuchte, den lästigen Kötern so weit wie möglich auszuweichen. Die hochmotivierten Deutschen Hochgebirgsschafe waren weit voraus, mussten aber am Gipfel auf den Tiroler Nachzügler warten. Bei dem eisigen Wind sicher kein Vergnügen…aber selber Schuld…
Auch am Pichincha (4.800m) und am Illiniza Norte (5.116m) lief alles Glatt. Wir wurden weder nass, keiner der Nordländer stürzte sich unfreiwillig in die Tiefe und so standen alle Teilnehmer auf den Vulkangipfeln, schossen Fotos und grinsten um die Wette.
Der Silvesterabend verlief dann eher ruhig. Wir verbrannten traditionsgemäß den „el viejo“ und kippten uns an der Bar mehr oder weniger Hochprozentiges in den Rachen, bis der Flüssigkeitshaushalt wieder im grünen Bereich war. Obwohl einige ansprechende Mädels aus der Umgebung uns mit ihrer Anwesenheit beehrten, kam es zu keinem internationalen Körperflüssigkeitsaustausch, was ich bis heute zu tiefst bedauere…
Hüttenübernachtungen sind ja immer so eine Sache. Aber es ist trotzdem immer wieder erstaunlich, welche Geräusche so ein menschlicher Körper erzeugen kann. Zum Glück mussten wir um 23 Uhr wieder aus den Federn, an richtigen Schlaf war eh nicht zu denken.
Wir hatten richtiges Wetterglück und schließlich standen mein Seilpartner Norman und meine Wenigkeit um 6 Uhr früh auf dem Cotopaxi (5.897m). Allerdings waren wir ein bisserl zu schnell und der Sonnenaufgang erst in der Startphase. Es war also schweinekalt und so verließen wir nach kurzer Zeit wieder den höchsten Punkt dieses schönen Vulkanes und starteten unseren Abstieg.
Zur Abwechslung und Entspannung machten wir am nächsten Tag einen Ausflug in das tropische Tiefland und tankten ein wenig Wärme und viel leckeres Bier um für den nächsten Tag fit zu sein. Immerhin stand mit dem Chimborazo (6.310m) der höchste Berg Ecuadors auf dem Programm. Am späten Nachmittag erreichten wir die Hütte und bereiteten noch alles Nötige für den frühen Aufstieg vor. Davor wollte ich mir noch ein paar Stunden Schönheitsschlaf gönnen. Aber da hab ich anscheined schon zuviel verlangt…
Naiv wie ich halt bin, rollte ich meinen Schlafsack direkt neben der Haustüre aus, kuschelte mich in die wärmenden Daunen und freute mich schon auf ein paar Stunden im Reich der süßen Träume. Leider machte ich die Rechnung ohne die 13 blasenschwachen Deutschen, die in regelmäßigen sehr kurzen Abständen vor die Hütte mussten um die umliegende Botanik zu Bewässern. Kein Wunder, dass Ecuador zu den fruchtbarsten Ländern der Welt zählt. Ganz zu schweigen von dem ältern Herren, der im „Dunkeln“ mit seiner Pinkelflasche hantierte. Allein die Geräuschkulisse ließ Übelstes vermuten und ich wurde diese, in meinem Kopf aufsteigenden Bilder, nicht mehr los…
Gerädert und traumatisiert, schlüpfte ich gegen 22Uhr aus meinem Schlafsack und war alles andere als motiviert für diesen Gipfeltag. Es dauerte nicht lange, einige Schritte genügten um zu wissen, dass heute nicht mein Tag ist. Ich kam nicht so richtig in Schwung und war ungewohnt kurzatmig. Zudem stiegen wir über den Westgrat auf da auf Grund der Ausapperung der Normalweg ziemlich steinschlaggefährdet ist. Das hieß allerdings auch noch eine Stunde mehr Aufstiegszeit. Ich ergab mich meinem Schicksal und kämpfte mich Schritt für Schritt hoch. Die steile, nie endend wollende Gipfelflanke verlangte nochmals vollen körperlichen Einsatz und in den frühen Morgenstunden erreichten wir endlich den Vorgipfel. Da dieser ja nur der halbe Höhepunkt ist und ich sonst auch nichts großartiges vor hatte, nahmen wir auch noch den Hauptgipfel in Angriff, war auch schon egal.
Ich stand also am höchsten Gipfel Ecuadors, die Sonne schien und die Fernsicht war einfach nur umwerfend. Aber in diesem Moment war mir das so was von Wurscht. Ich war saumüde und wollte nur noch am Busen einer Frau ruhen, mich stärken, wieder zu Kräften kommen oder auch für immer dort verweilen…
Die Realität war dann erwartungsgemäß nicht ganz so prickelnd, aber doch um einiges besser als erwartet. Wir landeten in Papallacta, bekannt für seine heißen Thermalquellen. Eine wunderschöne Anlage mit hübschen Cottages und ringsherum nur Pools mit heißem Wasser. Keine Badewanne der Welt konnte in diesem Augenblick schöner sein…einfach nur genießen. Und da ich vom Genießen nie genug bekommen kann, gönnte ich mir noch eine einstündige „Oriental Massage“, von und mit Claudia…, einer hübschen und fingerfertigen Dame aus Ecuador.
Aber auch die schönen Dinge des Lebens sind nur von kurzer Dauer und so gings am nächsten Tag schon wieder weiter zu unserem letzten Vulkan, dem Cayambe (5.730m). Dieses Mal ließ uns die Wettergöttin ein wenig im Stich. Es stürmte die ganze Nacht und dieser schöne vergletscherten Vulkan versteckte sich hinter einer dichten Wolkenschicht. Trotzdem latschten wir gegen Mitternacht los, überquerten etliche Spalten, kämpften uns eine Steilstufe empor und erreichten dank unserer ortskundigen Bergführer bei null Sicht und arktischen Temperaturen den höchsten Punkt. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass mein Seilpartner beim Aufstieg eines seiner Steigeisen verlor und er es stundenlang nicht bemerkte…aber nach diesen 2 Wochen konnte mich nichts mehr erschüttern…
Ich hatte somit alle sechs Vulkane bestiegen und war eigentlich recht zufrieden.Zur Feier des Tages wurden wir von unserer Köchin noch mit köstlichem Pilsener Bier abgefüllt. Dort wissen die Frauen anscheinend noch was ein Mann braucht…
Anschließend düsten wir zurück nach Quito, wo wir am Abend wieder in unserem Luxushotel eincheckten.
Aber heute war nicht irgendein Abend. Nein, es war Samstag. Samstag Abend in Quito. In den Straßen war die Hölle los. Tonnenweise Lokale, Pubs, Discos und sogar einen Striptease Laden konnte ich ausfindig machen. Herz was willst du mehr…Aber was machen deutsche Pauschaltouristen an so einem vielversprechenden Abend??? Richtig, sie verbarrikadieren sich in der Hotelbar, trinken irgendwelche Cocktails, deren Namen sie nicht einmal annähernd aussprechen können und erzählen haarsträubende Geschichten von extremen Bergtouren in der Lüneburger Heide….
Ich war, man kanns mir nicht verübeln, stinksauer und ich verschwand in der Dunkelheit der Nacht, um zumindest noch ein bisschen Spaß zu haben. Allerdings kam nicht wirklich Stimmung auf, egal wie viel Bier ich in mir reinkübelte, nicht einmal mit den Prostituierten wurde ich handelseinig…Also schlich ich wieder zurück ins Hotel und verkroch mich in mein Zimmer….
Auch den darauf folgenden Tag verbrachte ich alleine, schaute mir die schöne Altstadt an, zog durch die Gassen und genoss die Ruhe und das gute Essen. An diesem, für mich letzten Tag in Ecuador, zeigte sich noch einmal die Sonne in ihrer ganzen Pracht und Wärme und zauberte wieder ein Lächeln in mein Gesicht….

Wulfgäng