Dhaulagiri Expedition 1986 mit dem DAV

3. Mai 1986 – Dhaulagiri Hochlager III – rund 7.000 m:
Unser Zelt steht in einer steilen Flanke und ist mit Seilen an Felsen verankert. Klaus, Peter und ich haben eine stürmische Nacht verbracht.Mit uns sind noch vier deutsche Bergsteiger im zweiten Zelt. Peter und Klaus klagen über Übelkeit und Darmprobleme, besonders Peter hat es arg erwischt. Er hatte sich schon gestern mit größter Überwindung ins Lager III heraufgeschunden.
Die letzten Wochen sind wir den Weg ins Lager III schon öfters gegangen, da wir drei meistens vorne dabei waren, um Lasten in die Hochlager zu tragen und die Lager einzurichten.
In der Früh will heute keine richtige Stimmung aufkommen. Durch die schlechte Verfassung der beiden ist unser Auftrieb auf ein Minimum gesunken, wo doch sonst in unserem Zelt immer gute Stimmung vorherrschte.
Als wir gegen 1/2 10 Uhr Stimmen hören, wissen wir, daß Günther, Sepp, Heinz, Müller und ein Sherpa von oben zurückkommen. Sie sind schwer gezeichnet von den Anstrengungen in der dünnen Luft und wir nehmen sie mit heißer Suppe und Tee in unserem Zelt in Empfang. Sie waren vor zwei Tagen vom Lager III aufgebrochen – das Wetter war gut – und in 3 1/2 Stunden erreichten sie Lager IV, deponierten dort das Zelt und gingen gleich weiter Richtung Gipfel. Am späten Nachmittag, in Gipfelnähe, überraschte sie ein wildes Gewitter. Günther und Sepp erreichten sehr spät den Gipfel. Beim Abstieg übernachteten sie zu fünft im kleinen Sturmzelt.
Für mich ist es jetzt das Schwierigste, zu entscheiden, ob ich mit Peter und Klaus absteigen oder doch noch einen Versuch ins Lager IV wagen soll. Bei Peter und Klaus steht fest, daß sie in ihrer Verfassung auf jeden Fall mit der Gipfelmannschaft absteigen werden.
Ich bin lange unschlüssig, bis sich Lutz und Willi, zwei deutsche Freunde, bereit erklären, mit mir aufzusteigen.
Der Weg von Lager III führt gleich über unserem Zelt durch eine steile, mit Felsen durchsetzte Eisflanke, zu einer zirka 80 – 100 m hohen, fast senkrechten Felswand, die mit alten Fixseilen versehen ist. Mit Steigeisen klettere ich den Steilaufschwung und ich muß meine ganze Konzentration aufbringen, um nicht versehentlich einen der stark beschädigten Seilreste zu verwenden. Trotz meiner mir langsam scheinenden Bewegungen erreiche ich nach zirka 1 1/2 Stunden diesen Felsaufschwung. Von hier zieht ein steiler Firngrat hinauf zum vorgesehenen Lager IV. Der Abstand zwischen mir und meinen 2 Freunden wird immer größer, und ich mache mir schon Gedanken, ob sie vor Einbruch der Dunkelheit Lager IV noch erreichen können.
Der Blick von hier oben ist überwältigend: Im Osten die Anapurna und die umliegenden Siebentausener, und im Norden kann man schon das Hochland von Tibet sehen. Als es am späten Nachmittag zu schneien beginnt, erreiche ich das Zelt von Lager IV. Es ist nicht aufgestellt, sondern nur zusammengelegt und mit einer Steinplatte beschwert. Reste von früheren Expeditionen sind hier noch zu finden, und ich beginne gleich eine einigermaßen ebene Fläche freizupickeln. Das Aufstellen des Zeltes allein macht mir große Schwierigkeiten, der Wind peitscht mir den Schnee ins Gesicht und ich habe Mühe, das Zelt zu halten. Nach einiger Zeit gelingt es mir, das Zelt zu fixieren, und ich beginne gleich damit, Schnee zu schmelzen. Willi und Lutz kommen total erschöpft bei Einbruch der Dunkelheit und sind froh, daß das Lager fertig ist. So gut es geht, richte ich es im Zelt gemütlich ein.
Inzwischen wird das Wetter immer schlechter und der Wind nimmt orkanartige Stärke an, sodaß Lutz nochmals vor das Zelt muß, um die Verankerungen zu kontrollieren. An Schlaf ist nicht zu denken. Wir stemmen uns alle drei gegen die Windseite und sind jeden Moment darauf gefaßt, daß das Zelt dem Sturm nicht standhält. Von uns dreien denkt keiner mehr an einen weiteren Aufstieg Richtung Gipfel, vielmehr machen wir uns Gedanken, wie wir bei diesem Sturm den Rückweg schaffen werden.
Als gegen Mitternacht der Wind fast plötzlich nachläßt, traue ich meinen Augen kaum, als ich am Himmel Sterne sehe und der Blick ins Kali-Gandaki frei ist. Ich mache mir schon ein bißchen Hoffnung, vielleicht doch noch weiter in Richtung Gipfel steigen zu können. Als das Wetter immer besser zu werden verspricht, beginnen wir mit den Vorbereitungen für den Aufstieg. Es ist noch dunkel, als ich vor dem Zelt die Steigeisen anlege, um gleich darauf mit der lange Querung in die Nordflanke, nahe den Felsen, zu beginnen. Steil zieht von hier eine rund 500 m hohe Flanke bis zum Beginn einer Felszone unterhalb des Gipfelgrates. In der Nähe einer Felsrippe spure ich in dem nicht enden wollenden Hang bis zum Rand der Felsen. Willi und Lutz sind weit unter mir und ich weiß, daß ich heute die ganze Spurarbeit alleine machen muß. Heute fühle ich mich recht gut und ich kann es kaum glauben, daß ich noch vor einer Woche mit einer argen Darminfektion im Basislager einige Kilo abgemagert habe und der Arzt mir von einem Aufstieg abgeraten hat.
Das Gehen im kombinierten Gelände macht mich fast ein bißchen übermütig und so bin ich gegen Mittag bei den Gratfelsen. Ein Blick nach Osten läßt die Schneekuppe des Ostgipfels erkennen und ich weiß, daß ich die 8.000er-Grenze erreicht habe. Bei einem großen Block warte ich auf meine zwei Freunde und kann es nicht erwarten, gleich den langen Gipfelgrat weiterzusteigen.
Willi und Lutz wollen nicht mehr weiter, für sie ist der Gipfelgrat das Ende ihrer Leistungsgrenze und sie machen sich große Sorgen wegen des Wetters, da von Nordosten schon ein Grau-Blauer Himmel zu sehen ist und der Wind die ersten Schneekristalle ins Gesicht bläst. Nach einer kurzen Aussprache entschließe ich mich, alleine den Anstieg fortzusetzen.
Lange gehe ich immer an der Nordseite des Grates, präge mir eine Eisrippe, die vom Grat in die Nordflanke herunterzieht, genau ein, um bei einem Rückzug bei schlechter Sicht keine Probleme zu haben. Immer wieder Felsrinnen querend, mache ich unter einem Turm kurz halt, und ich traue meinen Augen nicht, als ich weit hinter mir Willi und Lutz nun doch nachkommen sehe. Zuerst spüre ich Freude, nicht mehr allein zu sein, aber das aufkommende Schlechtwetter läßt kein längeres Warten zu. Vor mir sehe ich schon die Felsen der „Birnenroute“ und ich weiß, daß der Gipfel nicht mehr weit sein kann, bin ich doch schon fast 3 Stunden auf dem Gipfelgrat unterwegs. Das Wetter ist inzwischen ganz schlecht geworden, nur durch Wolkenlöcher kann ich vor mir eine Schneekuppe ausnehmen. Vorsichtig taste ich im dichten Schneetreiben zum HÖCHSTEN PUNKT !!
Inzwischen sind Willi und Lutz nachgekommen. Sie bleiben einige Schritt unter mir stehen, machen noch gleich eine Gipfelaufnahme. Wir umarmen uns, überglücklich, so etwas erleben zu dürfen und machen uns gleich zum Abstieg bereit.
Der aufkommende Sturm läßt uns kaum unsere Aufstiegsspuren erkennen, jeder geht sein Tempo, bis wir zum Beginn der Eisrippe kommen. Von dort geht der Abstieg weiter über die Gratfelsen zur Nordflanke. Ich steige in der Nähe der Felsen abwärts und erreiche die lange Querung hinaus zum Nordost-Grat zu unserem Lager, das ich noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen kann. Müde und abgespannt warte ich noch auf meine beiden Freunde, die bei vollkommener Dunkelheit das Zelt erreichen.
Willi hat sich beim Abstieg die Hände und Zehen erfroren und ist in schlechter Verfassung. Lutz verabreicht ihm einige Tabletten. Ich koche noch mit der letzten Gaskartusche ein wenig Flüssigkeit. Das Wetter ist inzwischen ganz schlecht geworden und der Sturm reißt wieder an unserem Zelt.
Am nächsten Tag ist das Wetter immer noch sehr schlecht. Willi will nicht mehr aus dem Zelt und nur durch gutes Zureden können wir ihn überreden, mit uns Lager IV zu verlassen. Jeder geht in seinem Rhythmus und so passieren wir Lager III und treffen weiter in Lager II ein. Dort befinden sich jedoch keine Zelte mehr, und so legen wir noch mit letzten Kräften den Weg ins Lager I zurück.
Peter, Klaus und einige Träger empfangen uns herzlich. Bei der ausgezeichneten Küche von Klaus lassen wir uns im Zelt verwöhnen und können es kaum glauben, daß wir nun alle Strapazen überstanden haben.
Der Weg ins Basislager ist uns sehr gut bekannt und bereitet uns keine Schwierigkeiten mehr. Auch dort empfangen uns die Expeditionsteilnehmer und Sherpas mit großer Freude und zusammen feiern wir den Erfolg, der ja nicht nur von uns, sondern von der Zusammenarbeit der ganzen Mannschaft abhängig war.
Mein alter Wunschtraum, einmal auf einen Achttausender zu stehen, war in Erfüllung gegangen.
Walter Larcher