Besteigung des Cerro Mariano Moreno (3471m) am südlichen patagonischen Inlandeis

Das südliche patagonische Inlandeis mit einer Länge von 400km, einer Breite von 40-60km, erstreckt sich über eine Fläche von 1350km² und ist somit die größte Eisfläche der Erde im gemäßigten Klima. Um eine Vorstellung von der Ausdehnung dieser Eisfläche zu erhalten, genügt ein Vergleich mit den Alpengletschern: Ihre Gesamtfläche beträgt ca. 3500km² Etwa in der Mitte der Nord-Süd Achse des Eisfeldes liegen am Ostrand die berühmten Felsgestalten des Fritz Roy und des Cerro Torre mit ihren Trabanten. Unser Ziel war die Begehung des Eisfeldes vom Passo Marconi bis zu Passo del Viento, mit der Besteigung des Cerro Mariano Moreno, der sich ca. 30km Luftlinie südwestlich vom Passo Marconi befindet und von Walter Bonatti 1958 erstbegangen wurde.
26.11.: Es ist kurz vor 22Uhr und noch immer taghell, nach 1200 Flugkilometern sind wir von Müchen über Madrid mittags in Buenos Aires gelandet und von dort nach einem 3 stündigen Flug in El Calafate angekommen. Zum Einstand geht’s gleich in eine Barrilada. Bei Grillfleisch und fainoser Rotwein genießen wir die argentinische Gastfreundschaft.
27.11.: Nach einer 200km langen Busfahrt kommen wir in Chalten an. Heute ist Proviant Ausfassen und Rucksackpacken angesagt. Es ist immer schwierig das richtige Maß an Verpflegung für die bevorstehenden Tage zu finden. Ich verlasse mich nach wie vor auf das Altbewährte und Erprobte: Hartwurst, Speck, Bündner Fleisch, Parmesan, Schüttelbrot und viele Suppen. Die Verlockungen des angebotenen Proviants sind groß und obwohl mit klar ist, dass alles selbst getragen werden muss, nehme ich iel zu viel mit. Letztlich wiegt mein Rucksack ohne Schi 27kg.
28.11.: Unser Tagesziel ist das Campamento La Phayita am Lago Electrico. Ein Bus bringt und zu unserem Ausgangspunkt am Rip Electrico. Wir befinden uns im Parque National Los Glaciares und es ist beeindruckend durch einen Urwald von immergrünen Südbuchen zu wandern. Wir erreichen den letzten Vorposten der Zivilisation das Rifugio Padre del Fraina. Eine kurze Rast um die Schultermuskulatur etwas auszuspannen und weiter geht’s über mächtige Seitenmoränen zu unserem heutigen Lagerplatz. Die Zelte sind durch eine Felswand vom Starkwind geschützt. Gegen 21Uhr verziehen sich die letzten Wolken und der Blick zur Nordseite des Fritz Roy wird frei. Im flachen Abendlicht kommen die Konturen dieses Feld Kolosses noch besser zum Vorschein. Ein unvergessliches Erlebnis.
29.11.: Heute haben wir eine sehr anstrengende Etappe hinauf zum Passo Marconi und ein Stück weiter zu bewältigen. Über unwegsames Geröll kommen wir zum Nördlichen Mariconi Gletscher. Zuerst ein Stück zu Fuß, dann können wir endliche mit den Schiern weiter. Über ein Steilstück kommen wir in flaches Gelände. Schließlich erreichen wir das Depot mit unseren Schlitten und Zelten, Welche 4 Helfer für uns erreichtet haben. Endlich der Rucksack on den Schultern! Das Schlittenziehen, das ich vor 5 Jahren bei der Durchquerung des nördlichen patagonischen Eisfelder kennen gelernt habe, stellt eine immense Erleichterung dar. Am Pass, der wie eine Düse wirkt, weht ein stürmischer Wind. Das erste Mal können wir einen Blick auf das Inlandeis werfen, die Dimensionen sind gewaltig und nur schwer zu ermessen. Ein Stück unterhalb des Passes wird das Lager aufgeschlagen. Das heißt vorerst eine 1,5m hohe Schneemauer bauen, die uns vor Sturm und Wetter schützen soll. Dann das Zelt aufstellen, Kochen und hinein in den Schlafsack.
30.11.: Der Aufbruch wäre für 8Uhr geplant gewesen, doch es weht ein derart stürmische Wind, dass wir erst gegen 10Uhr losmarschieren. Zielrichtung Südwest-Cerro Mariano Moreno. Es ist leicht bewölkt und wir kommen zügig voran. Das erste Mal können wir einen Blick auf den phantastischen, Schnee und eisgekrönten Cerro Torre werfen. Am frühen Nachmittag wird der Starkwind zum orkanartigen Sturm. Böen mit 100kmh drohen einen umzuwerfen. Bei diesen Bedingungen können wir nicht mehr weitergehen. Wieder beginnt der Aufbau einer Schneemauer und das Ausheben eines Grabens für unsere Zelte. Diesmal bei widrigsten Bedingungen. Es hat nämlich Plusgrade und de Sturm schleudert einem den Triebschnee mit derartiger Wucht entgegen, dass auch die beste, als Wind und Wetterfest angepriesene Ausrüstung der Gewalt nicht standhält. Die Folge ist, dass wir allesamt bis auf die Haut patschnass sind. Ich wünschte mir jetzt den Experten einer Erzeugerfirma der diversen Top Marken an Ort und Stelle. Mit dem Slogan „ Absolut wind und wasserdicht“ sollte man etwas vorsichtiger umgehen…. Sobald wir im Zelt sind beginnt das Trocknen unserer Kleidung und vor allem der Schuhe über dem Gaskocher. Gegen Mitternacht ist endlich Nachtruhe angesagt.
1.12.: Gott sei Dank hat sich der Sturm gelegt. Unsere Zelte sind gegen die Schneemauer hin komplett mir Flugschnee zugedeckt. Wieder schaufeln! Den ganzen Tag verbringen wir mit dem Trocknen der Bekleidung. Das geschieht auf Reep Schnüren, die wir zwischen den Schiern verspannt haben. Das Wetter hat sich beruhigt und kurzzeitig kommt die Sonne heraus. Wir liegen genau westlich vom „Circo de nos Altares“ – eine fantastische Landschaft. Wie Orgelpfeifen schießen die Granit Monolithen in den Himmel, gekrönt von aberwitzigen Eispilzen.
2.12.: Um 4Uhr Früh beginnt die Kocherei; um 5:20Uhr ziehen wir los in Richtung Cerro Mariano Moreno. Das wir vorgestern wegen des Sturms unser Tagesziel nicht erreichen konnten, müssen wir heute ordentliche Horizontal Distanzen zurücklegen. Im Osten verzaubert die auf gehende Sonne die Landschaft in immer noch aufregendere Farben. Von Dunkelblau über Purpurrot bis Goldgelb reicht die Farb Palette. Nach 3 Stunden finden einen Durchschlupf am Fuße des „Pyramidenberges“ Unser Kurs Richtung NW, dreht ab nun auf SW Richtung. Das Wetter ist passabel, das Gelände vorerst sanft ansteigend. Richard, Thomas und ich gehen unser gewohntes Tempo und müssen immer wieder auf die Restmannschaft warten. Ca. 2 Stunden unterhalb des Gipfels gesellt sich Toma unser 2. Einheimischer Führer zu uns und wir können unser Tempo steigen. Das Gelände steilt sich auf, durch den vorgestrigen Sturm sind beinharte Windgangeln entstanden, teilweise schimmert Blankeis durch. Toma, der schon einmal am Gipfel war, meint wir sollten uns mit dem östlichen Gipfel, der etwas niedriger als der Hauptgipfel ist zufrieden geben. Doch wir wollen doch auf den höchsten Punkt.
Wir sind schon oberhalb vom östlichen Gipfel und ca. 20-30 Höhenmeter vom Hauptgipfel entfernt, da bricht plötzliche starker Nebel ein. Wir warten ab und hoffen, dass es noch einmal auftut. Vergebens! Ein kräftiger Schluck Grapper und die Abfahrt beginnt. Toma voraus, in einer Hand das GPS; lotzt er uns von einem Weg Punkt zum nächsten. Wind ist aufgekommen, zum Nebel kommt noch der Triebschnee, ständig sind die Brillen von Wassertropfen überzogen. Bei diesem „Blindflug“ verfangen sich meine Schispitzen bei einem Windgangl. Ich mach einen Salto und lande auf der linken Schulter – Ein stechender Schmerz – Schulter ausgekegelt, Rippen geprellt. Thomas und Richard sind sofort bei mir. Schi uns Rucksack werden mit abgenommen, ein Widerlager am Hang herausgestampft. Ich lehne mich mit aller Kraft gegen den Hang. Thomas als Orthopäde mein genialer Helfer, und Richard ziehen mit Leibeskräften an meinem Arm. Klaks – das Schultergelenk ist wieder an Ort und Stelle. Ein paar ordentliche Schluck Grappa, dazu ein paar Schmerztabletten und weiter geht der Abstieg; Richard nimmt meinen Rucksack; gleich treffen wir auf den Rest der Gruppe. Gemeinsam geht’s in der Nebelsuppe talwärts. Von Weg Punkt zu Weg Punkt. Ohne Nebel hätten wir eine Traum Pulverabfahrt! Wir kommen zu einer Spaltenzone – Anseilen – Endlich ein erlösender Aufschrei, wir haben den Durchschlupf beim „Pyramidenberg“ gefunden. Es ist 20:15Uhr Wieder am Inlandeis lichtet sich der Nebel, eine Strecke von 38km Luftlinie liegt hinter uns. Wir haben einen argen Flüssigkeitsmangel, literweise Tee wird gekocht.
3.12.: Das Wetter ist passabel, kaum Wind. Unser heutiges Tagesziel ist der „Ciro del los Altares“. Das Schlittenziehen funktioniert auch mit meiner angeschlagenen Schulter recht gut. Ich eile der Gruppe voraus und genieße die Einsamkeit in dieser grandiosen Landschaft. Nach ca. 14km erreichen wir einen Taleinschnitt am Fuss des Cerro Torre. Der Schnee ist aufgeweicht und die Schneemauer rasch erreicht. Leider verhüllt sich der Cerro Torre mit Nebel.
4.12.: Aufbruch gegen 8:00Uhr Wetter gut. Diesmal haben wir starken Rückenwind, der uns zeitweise ohne eigenes Zutun vorwärts schiebt. Unser Tagesziel ist das Biwak Los Esquies. Wir verlassen das Eisfeld un kommen zu einer riesigen Seitenmoräne. Am frühen Nachmittag ist der Biwakplatz erreicht. Diesmal schützen uns Steinmauern vor den immer Stärker werdenden Wind. Der Starkwind mausert sich wieder zu einem ausgewachsenen Sturm. Günther rät uns, unsere Ausrüstung im Rucksack zu verstauen, im Fall, dass die Sturmböen das Zelt zerreißen.
5.12.: Es ist immer noch windig. Vorbei an kleinen Gletscherseen, geht’s auf der riesigen Seitenmoräne ständig auf und ab. 400 Höhenmeter führen Steigspuren hinauf zum Passo del Viento. Kurze Rast und weiter dem Campamento Laguna Toro entgegen. Mehrere Flussarme versperren und den Weg zum Lagerplatz. Hosen hinauf gekrempelt und gut knietief hinein in’s kalte Wasser. Kurz darauf kommen wir zu den ersten Südlücken. Das Lager im Wald ist erreicht. Im letzten Sonnenlicht verzehren wir unsere Proviant Reserven. Die Wetterprognose meldet für morgen Sturm mit 100kmh..
6.12.: Ohne Hast bauen wir unser Zelt ab. Gegen 10Uhr kommen 2 Treiber aus Chalten mit 6 Tieren. Die lieben Tiere werden den Großteil unserer Ausrüstung nach Chalten transportieren. Der vorhergesagter Sturm ist Realität. Das Wasser des Rio Tunel wird abgehoben und zerstreut. Weiter Tal auswärts können wir das einmalige Schauspiel erleben, wie das Wasser eines Wasserfalls nach oben geweht wird. Kaum zu glauben aber wahr! Wir überqueren einen Pass und tauschen wieder in urige Südbuchenwälder ein. Starkregen beginnt. Gegen 17Uhr kommen wir in Chalten an. Nach 9 Tagen in Urlandschaft ist das plötzliche Zusammentreffen mit der Zivilisation, mit dem Autoverkehr, mit dem Getriebe ein leichter Schock. Um diesen Übergang besser zu verkraften, gehen wir so wie wir sind in die erstbeste Kneipe und geben uns dem Bierglas hin.
Die vergangenen Tage intensivsten Erlebnis werden schon zur Erinnerung…
Peter Konzert