Ama Dablam 1989

Ama Dablam – trotz seiner Höhe von „nur“ 6856 m für nicht einer der eindrucksvollsten und schönsten Berge der Welt. Die Kriterien der Vollkommenheit der Formen sind bei diesem Berg ideal erfüllt, egal von welcher Seite betrachtet – immer atemberaubend schön. 1984 im Spätherbst sind wir nach der Besteigung des Baruntse über den Amphu Lapsa durchs Khumbu hinausgewandert und haben damit unseren Traumberg von allen Seiten kennen gelernt. Einstimmiges Urteil: „Von märchenhafter Schönheit“!
20. 10. 1989: Ein Traumtag. Zusammen mit Wolfi, Klaus und Dieter bin ich heroben auf Lager II. Die Exponiertheit dieses Lagers, auf einer Gratschulter gelegen, läßt nichts zu wünschen übrig.
Wir wollen das gute Wetter nützen und mit dem Verankern der Fixseile so hoch wie möglich kommen. Eine steile Rinne leitet uns auf eine Firnrippe. Wolfi steigt weiter bis zu einem Felsblock. Aus ist’s mit dem Schönwetter. Klaus und Wolfi kehren um. Über steilen, tiefen Schnee erreiche ich den Fuß vom „Gelben Turm“. Endlich Fels! Den Fels entlang beginne ich eine heikle Linksquerung, endlich ein Riß, wo ich eine solide Sicherung unterbringen kann. Unterm Schnee finde ich alte Standhaken und lasse Dieter nachkommen. Eine blanke Eisrinne weist den Weg nach oben. Die Rinne weitet sich und das Eis weicht tiefem, uferlosem Pulverschnee. Kurz vor Erreichen des Pfeilerkopfes ist das Seil zu Ende. Da sich in dem Pulverschnee keine anständige Verankerung unterbringen läßt, muß ich frei bis zur letzten Zwischensicherung abklettern.
21. 10.: Superwetter. Bald ist meine gestrige Umkehrstelle erreicht, schräg rechts haltend wühle ich mich auf den Pfeilerkopf hinauf. Stand – Pause. Es folgt der „Mushroom-Grat“, ein herrlicher Firngrat, der in flacheres Gelände überleitet. Gleich wie gestern um diese Zeit kommt Nebel auf und es beginnt zu graupeln. Wir kehren um. Abends kommen Günther und Kim mit Nachschub, vor allem mit Seilen und Proviant. Ich bin müde, will morgen rasten und auf Klaus und Wolfi warten.
22. 10.: Um 4 Uhr beginnt Günther im Nachbarzelt zu rumoren. Er sagt, es sei wolkenloses Wetter, ich solle doch unbedingt mitkommen . . . . nach einer Zeit des Wankens und Schwankens entscheide ich mit fürs Mitgehen. Günther und Kim sind schon um 6 Uhr losgezogen. Die 30 cm Neuschnee, die gefallen sind, machen sich jetzt unangenehm bemerkbar. Unweit von mir wühlen sich Günther und Kim zu einer Unterbrechungsstelle rechts vom gewaltigen Eiswulst. Am Beginn eines Rechtsquerganges in eine blanke Rinne bin ich bei ihnen. Nach der Rinne geht es ohne Seilsicherung weiter. Wir überqueren die Randkluft zur Gipfelwand.
Bis zu einem markanten Felsen übernehme ich die Spurarbeit, dann geht Günther voraus. Die letzten paar Meter zum Gipfel gehen wir gemeinsam. Es ist kurz vor 15 Uhr, der höchste Punkt ist erreicht, wir fallen uns in die Arme. Gerade noch sehen wir schemenhaft den Makalu, Lhotse und Everest im Nebel verschwinden. Es ist keine Zeit für große Gefühle.
Nach der Devise: „Du bist erst oben gewesen, wenn du wieder drunten bist“ beginne ich den Abstieg. Günther und Kim sind für ein Notbiwak ausgerüstet, ich muß unbedingt das Lager II erreichen. Konzentriert geht es hinunter bis zum ersten Fixseil. Um 17 Uhr bin ich am Pfeilerkopf. Der Nebel reiß auf, die Stimmungen in der Dämmerung sind überirdisch. Eine in den Farben ständig wechselnde Kulisse, von Chromgelb bis Ultramarinblau. Beim Abstieg durch die letzte Steilrinne ist die Dämmerung schon so weit, daß ich die Funken, die meine Steigeisen bei der Berührung mit dem Fels auslösen, sehen kann.
Kurz vor 18 Uhr krieche ich ins Zelt. Jetzt legt sich langsam die Spannung; trotzdem ist man innerlich viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Ich denke an Günther und Kim, die irgendwo beim Abstieg biwakieren; hoffentlich überstehen sie die Nach ohne Erfrierungen. Später horche ich mir das „Kölner Konzert“ von Keith Jarett an, und spüre, wie mir Glückstränen über die Wangen rinnen.
Peter Konzert